Rede von Stadtrat Ansbert Maciejewski zur aktuellen Stunde im Leipziger Stadtrat am 19.November 2015: „Flüchtlinge in Leipzig – Wie werden die Herausforderungen angenommen und bewältigt?“

Ich glaube, dass wir hier im Stadtrat zu diesem Thema auf nahezu jeder Sitzung eine Aktuelle Stunde abhalten könnten. Die Herausforderungen der Gegenwart sind für jeden sichtbar. Menschenwürdige Unterbringung ist nicht nur eine Herausforderung, das ist unsere Pflicht.

Die Unterbringung von Menschen in so großer Anzahl in so kurzer Zeit geht nur in Massenunterkünften. Und ich bin sicher: Diese Massenunterkünfte werden zu Dauereinrichtungen werden, und wir werden noch mehr davon benötigen, wenn es nicht gelingt, den Zustrom einzudämmen. Aber das ist nicht unsere Aufgabe hier in Leipzig.

Sehr geehrte Damen und Herren, die Herausforderungen von heute müssen wir bestehen. Aber es gibt auch Herausforderungen, die Morgen und Übermorgen betreffen.

Dazu, wie viele Menschen dauerhaft bleiben werden, hört man ganz unterschiedliche Zahlen. Fakt ist: Es werden viele sein. Ihre Aufgabe wird es sein, sich in unsere Stadtgesellschaft zu integrieren, unsere Aufgabe wird es sein, das nach Kräften zu unterstützen.

Aber wo werden diese Menschen künftig wohnen? Nicht in Massenunterkünften oder kleineren Gemeinschaftsunterkünften, soviel ist klar. In Mitteleuropa wohnen Menschen in Wohnungen, nicht in Zelten oder Turnhallen.

Wo aber sind die freien und gleichzeitig bezahlbaren Wohnungen für die Menschen, die zu uns kommen? Im Waldstraßenviertel, Schleußig oder der Südvorstadt sicher kaum.

Das Amt für Statistik und Wahlen hat im Quartalsbericht II aus 2015 sehr schön aufgeschrieben, wo sich in Leipzig die meisten leerstehenden Wohnungen befinden. Spitzenreiter sind: Lausen-Grünau mit 1400, Volkmarsdorf mit 1200, Grünau-Mitte und Kleinzschocher mit jeweils 950 sowie Altlindenau und Grünau-Nord mit jeweils 900 leerstehenden Wohnungen.

Herr Oberbürgermeister, ich möchte Sie fragen: glauben Sie nicht auch, dass es genau diese Ortsteile sind, welche künftig die größte Integrationsleistung zu erbringen haben? Und, Herr Oberbürgermeister, haben Sie, hat die von Ihnen geführte Stadtverwaltung einen Plan dafür?

Wie sieht es aus in diesen Ortsteilen, deren Sozialdaten jetzt schon wenig erfreulich sind? Wie sieht es dort aus mit sozialer Infrastruktur, wie sieht es aus mit Kultureinrichtungen, mit Stätten der Begegnung, die Integration überhaupt erst möglich machen?

Was tut die Stadt konkret? Haben Sie einen umsetzbaren Plan, Herr Oberbürgermeister? Und wann teilen Sie diesen Plan dem Stadtrat und der Öffentlichkeit mit?

Oder rufen sie auch nur laut „Willkommen“ wie die Menschen mit den Kuscheltieren und den Luftballons am Münchner Hauptbahnhof im Sommer?

Herr Oberbürgermeister, Ihr Sozialbürgermeister baut grad eine Schulentwicklungsplanung für die nächsten Jahre auf. Und zwar mit Schülerzahlen, die schon heute von der Realität überholt sind.

Schaffen wir das so? Ich glaube nicht.

Es wird häufig beschworen, dass unser Land sich ändern wird. Und das hört sich an wie eine Drohung, angesichts der gefühlten und offensichtlichen Hilflosigkeit der Politik auf vielen Ebenen.

Ich treffe immer mehr Menschen, die nicht wollen, dass sich unser Land ändert. Charlotte Knobloch hat gesagt: Unser Land darf sich nicht ändern. Und offen gesagt: Ich will das auch nicht. Ich will nicht, dass sich an Einigkeit und Recht und Freiheit irgendetwas ändert.

Herr Oberbürgermeister sie sagten im Oktober hier von diesem Pult aus: „Leipzig verträgt gut 10.000 bis 15.000 neue Mitbürgerinnen und Mitbürger pro Jahr mehr.“

10-15000 pro Jahr!

Vertragen wird im Duden erklärt mit: ohne Schaden etwas aushalten können.

Herr Oberbürgermeister, geht es Ihnen wirklich ums Aushalten können? Auch das klingt wie eine Drohung.

Was kann man denn „aushalten“? Eine Lebensqualität wie in Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln? Sicher kann man das aushalten.

Aber ich sage ganz deutlich: Ich will das nicht. Und ich bin der festen Überzeugung, die Leipziger wollen das auch nicht.

Herr Oberbürgermeister, wenn das Wetter schön ist und die Sonne scheint, kann man vielleicht ganz gut auf Sicht fahren.

Momentan ist das jedoch eher gefährlich. Hören Sie bitte auf damit. Und sagen Sie den Leipzigern endlich, wie Sie sich die Integration genau vorstellen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.