Leipzig erinnert heute an die erste große Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989. Nach dem Friedengebet in der Nikolaikirche und der “Rede zur Demokratie” gibt es wieder das Lichtfest. In diesem Jahr wurde dabei offenbar der 9.Oktober 1989 komplett aus dem Auge verloren.
Auf dem Burgplatz hat man sich unter der Überschrift „WIR – Leipzig 2023“gar nicht erst bemüht, irgendwelche Bezüge zu 1989 herzustellen. Es wird aber gesungen und es werden Fotos von Leipzigerinnen und Leipzigern auf die Fassade projiziert. Außerdem geht es um Miteinander, Diversität und Partizipation.
Auf dem Richard-Wagner-Platz stellt sich Leipzig in eine Reihe mit Jyvaskyla (Finnland), Eindhoven (Niederlande) und Lyon (Frankreich), weil diese Städte auch irgendwie Lichtfestivals veranstalten. Außerdem sind sie Mitglied im Netzwerk LUCI und an der Umsetzung des partizipativen, multidisziplinären und europäischen Projekts „Beacon of Hope – Leuchtturm der Hoffnung“ beteiligt, welches den Leipzigern im Rahmen der Erinnerung an 1989 nun nahegebracht werden soll. Man kann hier z.B. lernen, dass die zentrale Struktur des Projektes aus Holz besteht, einem leicht verfügbaren Rohstoff, der CO2 absorbiert, im Gegensatz zu Aluminium oder Stahl, die bei ihrer Herstellung Treibhausgase erzeugen.
Auf dem Augustusplatz gibt es eine audiovisuelle Installation mit der Bezeichnung „Trabi“. Man bezieht sich dabei irgendwie auf Prag, wohin zahlreiche DDR-Bürger sich 1989 zum Zweck des Erreichens der Deutschen Botschaft mit dem gleichnamigen Kfz auf den Weg machten. Allerdings schon deutlich vor dem 9.Oktober 1989. Als Symbol für die Leipziger Ereignisse an diesem Tag ist der Trabant jedenfalls überhaupt nicht geeignet – außer vielleicht in den Köpfen derer, die damals nicht dabei waren.
Zumindest wird auf www.leipzig.de angekündigt: “Einer der Bildschirme zeigt zudem leipzigspezifisches Bild- und Tonmaterial.”
Danach wird jedoch gleich fortgesetzt: „Einer der Trabis erlaubt den Besuchern einen Blick in das Innenleben und unter die Motorhaube, die Fahrzeug-Experten von „Trabi erleben“ beantworten beim Trabi-Talk gerne Fragen.“
Der 9. Oktober 1989 für Technikfreaks – sozusagen ein neuer Meilenstein auf dem Weg der Infantilisierung der Erinnerungskultur.
Ich kann jedenfalls gut verstehen, wenn diejenigen, die tatsächlich am 9. Oktober 1989 dabei waren, heute nicht in die Innenstadt kommen oder selbige nach Friedensgebet und Rede zur Demokratie wieder verlassen. Man könnte natürlich auch bewusst hingehen, um allen Interessierten und vor allem den Jüngeren dort zu erzählen, wie es wirklich an diesem Montag im Herbst 1989 war und dass der heute gezeigte Hokuspokus damit nichts zu tun hat.
Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich selbst machen werde. Fest steht: Es tut weh, zu sehen, was 34 Jahre nach diesem historischen Tag hier veranstaltet wird…
Ansbert Maciejewski 09/10/2023
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