Doku statt Fantasy – lassen wir uns 1989 nicht uminterpretieren.

Seit einiger Zeit deutet sich an, dass in Leipzig interessierte Kreise damit beschäftigt sind, die Ereignisse des Herbstes 1989, der Montagsdemonstrationen und der Friedlichen Revolution in ihrem Sinne zu vereinnahmen und zu interpretieren. Auch zum Lichtfest am 9.Oktober 2017, dem 28. Jahrestag der ersten richtig großen Leipziger Montagsdemonstration, konnte man wieder entsprechende Beobachtungen machen.

Der Augustusplatz war voll, wie jedes Jahr. Sehr viele junge Menschen waren da, mit Kerzen in der Hand. Der Uniriese hatte wie jedes Jahr sein Fenster in Form einer großen 89 erleuchtet. Und die große 89 vor der Oper, in die alle ihre Kerzen hineinstellen konnten, war auch wieder da.

Eröffnet wurde durch Oberbürgermeister Burkhard Jung, der auch per Facebook sogleich mitteilte, dass er das Lichtfest für „ein starkes Zeichen für Demokratie und Freiheit“ hält. In seiner Eröffnungsrede verurteilte er dann unter anderem rassistische Witze und Hass im Internet. Außerdem berichtete er von seinen Reisen nach Polen und teilte mit, dass dieses Land tief gespalten sei und wir an der Seite der Demokraten dort stünden. Etwas später wurde von einer anderen Person auf der Bühne über Fakenews in den USA berichtet, die Herrn Trump zum Wahlsieg verholfen hätten.

Ich bin nicht sicher, mit welchen Erwartungen heute die vielen Menschen auf den Augustusplatz gekommen sind. Aber ich weiß, dass viele, die damals über den Ring gelaufen sind, schon seit einiger Zeit nicht mehr zum Lichtfest kommen. Und das nicht nur wegen der künstlerischen Beiträge, die ja bekanntlich immer Geschmackssache sind, sondern wegen sachfremder Redebeiträge.

Wir hatten 1989 Angst, was passieren würde. Alle hatten Peking im Hinterkopf und die Ereignisse auf dem Platz des himmlischen Friedens. Jeder konnte sich vorstellen, wozu die Stasi fähig ist. Wir haben damit gerechnet, gleich bei der Montagsdemo „zugeführt“ zu werden oder aber am nächsten Tag vom Arbeitsplatz aus. Und natürlich auch damit, dass geprügelt oder gar geschossen wird. Trotzdem waren wir auf der Straße, um gegen einen Staat zu demonstrieren, der sich selbst als „Diktatur des Proletariats“ betitelte. Und der sich auch so verhielt, indem er Menschen einsperrte und freie Meinungsäußerung unterdrückte.

Das alles kommt mir beim „Lichtfest“ zu kurz. Viel zu kurz.
Um es ganz klar zu sagen: Der Versuch, den Bogen von den 1989er Ereignissen in die heutige Zeit zu spannen, geht mehr und mehr schief. Und ich bin nicht mehr sicher, ob das nicht sogar Absicht ist. Obwohl… eigentlich bin ich mittlerweile schon sicher.

Ich will nicht, dass die Ereignisse von 1989 in einen neu konstruierten Gesamtkontext gestellt werden. Und ich will auch nicht, dass sie von damals Unbeteiligten zur politischen (Selbst-)Darstellung benutzt werden. Ich erinnere hier nur an meinen Blogbeitrag vom letzten Jahr.  

Die Montagsdemonstrationen hatten sehr konkrete Anliegen. Und ja, Demokratie war auch eins davon. Und Freiheit, Meinungs- und Reisefreiheit. Und nicht zuletzt freie Wahlen. Und all diese Forderungen richteten sich gegen eine sozialistische Diktatur.

Der 9.Oktober 1989 in Leipzig war ein besonderer Tag. Für die direkt Beteiligten mit Sicherheit mehr, als für diejenigen, die aus der Tagesschau davon erfuhren. Ich kann und will dem Oberbürgermeister und vielen anderen Neuleipziger Akteuren nicht vorwerfen, dass sie die Leipziger Montagsdemos im kuscheligen Westen auf dem Sofa vorm TV verfolgt haben. Aber ich denke, die Federführung, wenn es um das Erinnern an die Friedliche Revolution 1989 in Leipzig geht, gebührt anderen. Und die Bühne zum Lichtfest auch.

Wer diesen Tag benutzt, um über den Rassismus der Neuzeit, Fakenews und Hass im Internet oder Herrn Trump und politische Verhältnisse in unserem östlichen Nachbarland zu reden, zeigt eigentlich nur, wie wenig er von 1989 verstanden hat und wird den damaligen Ereignissen nicht gerecht.

Machen wir so weiter, läuft das Lichtfest Gefahr, ein gewöhnliches, niedrigschwelliges Politevent zu werden, dass mit der Tradition und den tatsächlichen Ereignissen am 9.Oktober 1989 bald genauso wenig zu tun zu hat, wie die Berichterstattung der Aktuellen Kamera damals.

Ich möchte das nicht. Und ich kenne viele, die davon auch langsam die Nase voll haben.

„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ sagte Jean Paul. Und ich weiß, dass die Montagsdemonstranten von 1989 sich ihre Erinnerung nicht nehmen lassen werden. Egal, wie wenig authentisch das Stück ist, dass über den 9.Oktober 1989 grad aufgeführt wird und egal, welcher Schauspieler grad auf der Bühne steht.

Ich bin für mehr Doku und weniger Fantasy. Weil das ehrlicher ist.

 

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4 Kommentare

  1. Michael reibert

    Ich war 89 dabei und finde die Vereinnahmung mit gekoppelter Selbstdarstellung des unerträglichen obm abstoßenb

  2. Josef Till

    So friedlich wie in Leipzig war sie nicht die Revolution, bereits am 07.10. herrschten in Dresden bürgerkriegsähnliche Zustande, die Stasi zündete Polizeiautos an, um ihre Hetzjagten durch die Stadt zu legitimieren. Übrigens für alle die nicht Müde werden gegen Nazis zu krakeelen. Im Bundestag sitzt eine Partei, sie hat bis 1989 und im Kontext der friedlichen Revolution die Methoden der NSDAP angewendet, um ihre politischen Interessen durchzusetzen, sie befehligte ihren Geheimdienst, perfider als die Gestapo zu agieren. Am 09.10. wurden auch die Grenzen zur CSSR geschlossen und man begann KZ´s zu bauen, um 2000 denkende- bzw. anders denkende Menschen zu deportieren.

  3. Ein mündiges Volk,das sich seiner Angst vor einem perfiden ,ideologisch ausgereiftem System stellte,ist gefährlich für jedes System. Um so mehr wenn es erreicht hat was es wollte. Davor hat das System Angst ,deshalb ist Leipzig keine homogene Masse mehr, 300000 die mit mächtiger Stimme des Volkes Wille geeint vortragen ,wird es nicht mehr geben. Genauso wie das Gefühl mit allen brüderlich untergehakt, oder nebenherlaufend der Angst zu trotzen ,dem Bewusstsein Teil etwas großen zu sein.
    Die Inbrunst mit der die Internationale gesungen wurde, erlebt man bei keinem Fangesang von Fussbalvereinen. Deshalb gehe ich nicht mehr zum Lichtfest weil die Erinnerung eh verblasst ,aber ich möchte sie nicht mit Disneyland überpinseln

  4. Ich war das letzte mal dort als irgendwelche ausländische Persönlichkeiten dort waren.
    Mein Blick über die Dächer mit den Scharfschütze erinnerte mich an 89.
    Sofort abedreht und nach Hause, ehe die Veranstaltung bekommen hatte.

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