Seit einigen Wochen ist Kommunalwahlkampf in Leipzig. Der örtliche Kreisverband der AfD hat dabei das Wörtchen „Wende“ für sich entdeckt und bringt dieses seitdem als Schlagwort mit dem eigenen Politikansatz in Verbindung.
Betrachtet man die knapp 30 Anträge, die durch die AfD-Fraktion in den letzten fünf Jahren im Stadtrat gestellt wurden, kann man nicht wirklich erkennen, worin denn diese „Wende“ nun eigentlich bestehen soll. Einer der bahnbrechendsten Anträge, der mir noch in Erinnerung ist, forderte die Benennung einer Straße nach Bismarck. Selbige gibt es in Leipzig allerdings schon seit mehreren Jahren. Das Lesen von Stadtplänen scheint jedenfalls nicht die Sache der AfD zu sein.
Seit heute kann auch der letzte Leipziger erkennen, dass die AfD Leipzig offenbar nicht nur Probleme mit dem Lesen von Stadtplänen und der Reflexion der eigenen kommunalpolitischen Arbeit, sondern auch mit dem Erinnerungsvermögen an 1989 hat.
Auf Großflächenplakaten im gesamten Stadtgebiet wird jetzt eine „Wende für Leipzig“ gefordert bzw. angekündigt. Illustriert ist das ganze mit einem Schwarzweißfoto der Montagsdemonstration am 16.10.1989 auf dem damaligen Karl-Marx-Platz.
Die AfD stellt also offenbar ihre eigene Politik in einen Kontext zu 1989.
Ich kann nicht beurteilen, wie viele der für dieses Wahlplakat verantwortlichen Parteifunktionäre der AfD an den Montagsdemonstrationen teilgenommen haben und ob sie das privat oder dienstlich taten. Ich war jedenfalls seit Mai oder Juni 1989 bei den Friedensgebeten und den nachfolgenden Demonstrationen dabei. Und ich habe keine Erinnerung daran, dass der Begriff „Wende“ zum Sprachgebrauch der Demonstranten gehörte.
„Wir werden eine Wende einleiten. Die erste Voraussetzung dafür ist eine reale Einschätzung der Lage. Fest steht, wir haben in den vergangenen Monaten die gesellschaftliche Entwicklung in unserem Lande in ihrem Wesen nicht real genug eingeschätzt und nicht rechtzeitig die richtigen Schlussfolgerungen gezogen. Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wieder erlangen.“
Diese Worte gebrauchte Egon Krenz bei seiner Antrittsrede als Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands am 18.Oktober 1989 in Berlin.
Nicht nur aus diesem Grund sprechen wir in Leipzig auch von der „friedlichen Revolution“ und nicht von einer Wende. Vielleicht kennen einzelne AfD-Stadtratskandidaten ja auch den Begriff „Wendehals“. Aber das würde jetzt zu weit führen…
Die Leipziger Kommunalpolitik braucht keine Wende. Nicht im Krenz’schen Sinne und auch sonst nicht. Wir brauchen aber mit Sicherheit einen neuen Aufbruch, einen Stadtrat, der die Verwaltungsspitze von ideologischen Pfaden fernhält und sie bisweilen aus der Lethargie weckt.
Dass die AfD dazu nicht ansatzweise in der Lage ist, hat sie in den letzten fünf Jahren im Stadtrat hinreichend bewiesen.
Ich bin oft geneigt, bei politischen Peinlichkeiten oder Geschmacklosigkeiten auf Hanlons Rasiermesser zu verweisen: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“.
In diesem konkreten Fall nehme ich jedoch ausdrücklich davon Abstand.
Mit dem Vokabular von Egon Krenz sollte man 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution keine Politik mehr machen. Schon gar nicht in Leipzig.
Und der Versuch, mit Hilfe der Montagsdemonstrationen von 1989 die mangelhafte eigene kommunalpolitische Performance zu kaschieren, ist widerwärtig und wird hoffentlich ein klassisches Eigentor.
Ansbert Maciejewski, 20/05/2019
Ralf Noack
Und jetzt noch schnell die passenden Kommentare zu den anderen Parteien, sonst werden die Tage bis zur Wahl knapp. Oder sind die alle schick und ein möglicher Koalitionspartner der CDU…?
Ansbert
Vielen Dank für den Beitrag. Ich kommentiere Aktionen ALLER Parteien, wenn es einen Anlass dafür gibt. Das dürfte bekannt sein.